Belletristik Science Fiction

Jodi Lynn Anderson – Midnight at the Electric

Jodi Lynn Anderson – Midnight at the Electric

Der Roman beginnt bei Adri, die in einem Post-Klimakatastropen-Amerika, in Miami im Jahr 2045, lebt. Die Küste ist gesäumt von den Gerippen alter Hotels, die in den unteren Stockwerken vom Meer durchflutet werden, wo die Ärmsten der Armen in den oberen Etagen leben. Adri ist jung und brilliant, und hat vor kurzem ihre Zulassung zum Marsprogramm erhalten, für die sie hart gearbeitet hat – sie wird als Wissenschaftlerin und Kolonistin auf den Mars geschickt werden. Doch vorher muss sie noch den Rest ihres Ausbildungsprogramms absolvieren – in Wichita.

Die Organisation, die den Marsflug ermöglicht, hat eine entfernte Verwandte von Adri aufgetrieben, Lily, eine alte Dame, in deren Haus auf dem Land sie leben kann, solange sie noch in Ausbildung ist. Und so macht sich Adri auf den Weg zu Lily, in einem altersschwachen selbst fahrenden Elektrofahrzeug, das prompt des Nachts vor Lilys Haustür stirbt. Erst am nächsten Morgen lernt sie ihre Gastgeberin kennen.

Bei Lily wohnt auch eine alte Schildkröte mit Namen Galapagos, die im Laufe der Handlung sozusagen das Gewebe der Geschichte zusammenhält.

Doch während ich begierig bin, mehr über das Marsprogramm und die eher dystopische Welt zu erfahren, in der Adri lebt, führt Jodi Lynn Anderson die Leser in die Vergangenheit. Adri findet beim Herumstöbern das Tagebuch von Catherine, die früher in diesem Haus gelebt hat, und es reicht bis zurück ins Jahr 1934, in die Zeit, da die Menschen des Mittleren Westens den Dust Bowl verließen, weil auch bei ihnen die menschengemachte Umweltkatastrophe das Leben verunmöglichte.

Fasziniert vergräbt sich Adri in das Tagebuch von Catherine, zumal sie ohnehin gerade nichts Besseres zu tun hat als zu lesen. Aus dem, was soeben noch eine SciFi-Geschichte zu sein schien, wird ein Stück historischer Roman, der sehr bildhaft das Leben der armen Landbevölkerung während der Great Depression vermittelt. Dazu gesellt sich dann ein bisschen Coming-of-Age-Hintergrund, und schließlich findet Catherine Briefe einer unbekannten Frau namens Lenore an ihre Mutter Beth, und begibt sich noch ein Stück weiter in die Vergangenheit, nach England ins Jahr 1919, direkt nach Ende des ersten Weltkrieges.

Das ist mir ungefähr eine Verschachtelung zu viel, und leider ist die Geschichte von Beth und Lenore, die sich durch die Handlung um Cathy, ihre Schwester Beezie und den Jungen Ellis zieht, sehr langatmig erzählt. Anderson knüpft eine Verbindung von Adri und Lily zu den anderen Protagonisten, so dass sich ein Familiengemälde ergibt, dessen vorherrschendes Thema zu sein scheint, das alte Leben zu verlassen, um sich ins möglicherweise bessere Ungewisse zu begeben. Darin findet sich Adri wieder, und so wird ein Gesamtzusammenhang daraus.

Midnight at the Electric ist kein schlechter Roman, allerdings lässt mich das Buch irgendwie nicht glücklich zurück. Das mag daran liegen, dass ich mir einen Science-Fiction-Roman erhofft hatte, während genau dieses Thema für das Buch eigentlich am unwichtigsten ist – gewissermaßen angeteasert, aber dann nicht geliefert. Dazu passt, dass auch der titelgebende Moment des Buches – die Mitternachtsschau auf einem „Fair“ in einem Etablissement namens The Electric – für die Handlung nicht wirklich bestimmend ist. Am Ende ist die Erzählung dann aber, nach allem epischen Auswälzen, ganz abrupt vorbei, was ebenso überraschend wie unbefriedigend ist.

Die Lektüre war – von den Längen im Mittelteil abgesehen – ganz angenehm, aber eine Empfehlung für weitere Bücher dieser Autorin war der Roman für mich nicht.

Bewertung: ★★★½☆