Hanns Kneifel – Hatschepsut
Eine der wohl umstrittensten und vielleicht auch mysteriöstesten Figuren der altägyptischen Geschichte ist die Pharaonin Hatschepsut, Tochter von Thutmosis dem I., Schwester und Gattin von Thutmosis dem II. und Ziehmutter und Gattin ihres Nachfolgers, Thutmosis des III. Ihre Regentschaft gilt als Blütezeit des Reichs am Nil, ihre Expedition in das sagenhafte, reiche Land Punt ist legendär, und dennoch scheint es, als hätten nachfolgende Generationen sich bemüht, sie aus den Annalen zu tilgen.
Hanns Kneifel versucht in seinem umfänglichen Roman eine Rekonstruktion des Lebens der Pharaonin Hushpeswa, oder Hatschepsut, von ihren Jugendjahren bis zu ihrem möglichen oder tatsächlichen Verschwinden von der Bildfläche der ägyptischen Geschichte.
Hanns Kneifel – Hatschepsut: Die Pharaonin
Dabei gibt er sich sehr viel Mühe, die Authentizität dieser Epoche zu vermitteln. Einen Teil seiner Recherchearbeit belegt die Quellensammlung am Ende.
So gut wie alle Figuren des Romans sind historisch belegt, nur bei einigen Nebencharakteren nimmt sich der Autor die nötige künstlerische Freiheit, seine Geschichte dramaturgisch etwas auszuschmücken. So ist die wohl wichtigste Figur des Romans auch nicht Hatschepsut, sondern ihr Berater und Geliebter Senenmut, ohne dessen regelnde Hände in Kneifels Altägypten nichts rund liefe.
Das alte Ägypten und die Pharaonin interessieren mich schon immer stark, und die Detailverliebtheit des Buches, die Genauigkeit bei den Bezeichnungen erweckt die ferne Epoche gut zum Leben. Leider übertreibt es Kneifel für meinen Geschmack etwas sehr mit dem Ägyptologisieren, wenn er konsistent Begriffe, die durch einfache deutsche Wörter ersetzt werden könnten, in „Rômet“, also der Sprache des altägyptischen Volkes belässt – wie Höflichkeitsanreden, Lebensmittelbezeichnungen etc.
Ein Stück Geschichte, dessen Ausgang bereits fest steht, zu einem spannenden Roman zu machen, ist keine einfache Sache, und so richtig gelingt es Hanns Kneifel auch nicht. Die Kapitel über das Leben Hatschepsuts wirken wie aneinandergereihte Episoden mit wenig innerem Zusammenhang, die intrinsischen Motive der Handlungsträger sind verschwommen oder erscheinen simpel gestrickt. Die Pharaonin wird zu einer Lichtgestalt, die nichts Böses tut und keinen schlechten Gedanken fasst, ihr Begleiter zum reinen Helden, und die „Bösen“, die zum Fall der Herrscherin führen werden, sind schon früh auszumachen.
Mit keiner der Figuren mag man sich richtig identifizieren oder auch nur solidarisieren, es bleibt das Gefühl, eine Fernsehdokumentation anzuschauen, nicht aber ein monumentales Historienwerk zu sehen oder in die Geschichte tatsächlich einzutauchen. Allein das Abenteuer der Expedition nach Punt – nachträglich als Reisebericht des Kapitäns der Handelsflotte eingestreut – liest sich spannend (und wäre aus einem anderen Blickwinkel geschildert sicher noch viel interessanter gewesen).
Dafür wird der Leser mit (zweifelsohne nützlichen) Details über altägyptische Tempelbauten, Fluthöhen des Nil (bzw. Hapi), Geschichten über das pharaonische Späher- und Agentensystem und seine wackeren Streiter unterhalten, die das Bild des Imperiums abrunden, aber nur peripher mit Hatschepsut und ihrem Leben zu tun haben.
Ich habe mich mit den mehr als 700 Seiten sehr schwer getan, trotz meiner Faszination für das Thema. Kneifels Roman „Hatschepsut“ ist eher im Bereich „faction“ als im Genre „historischer Roman“ anzusiedeln, und vermittelt eine Menge Hintergrundwissen zur Kultur am Nil zu Zeiten der Thutmosis-Pharaonen, sonderlich unterhaltsam oder gar fesselnd ist er jedoch nicht.
Bewertung: