Pauline Gedge – Die Herrin vom Nil
„Die Herrin vom Nil“ ist wohl der bekannteste Roman der kanadischen Schriftstellerin Pauline Gedge, und befasst sich mit der Lebensgeschichte der Pharaonin Hatschepsut, Tochter von Thutmosis I., Ehegattin von Thutmosis II und Regentin und Stiefmutter von Thutmosis III.
Pauline Gedge: Die Herrin vom Nil
Im Zentrum des 1977 erstmals gedruckten Romans steht die Liebesgeschichte zwischen der Pharaonentochter, die das Land regieren wird, und dem einfachen, begabten Senmut, der zu ihrer rechten Hand heranwächst, während sie sich ihren Platz auf dem Thron erkämpft.
Die Fakten sind hinlänglich bekannt, wenn auch umstritten, und so fabuliert Gedge auch bisweilen wild drauflos, mit Thesen, die sich mit aktuellen Erkenntnissen der Archäologie nicht immer vereinen lassen, aber das mag darauf zurückzuführen sein, dass ihr Roman vor 30 Jahren entstanden ist.
Der Roman ist übervoll an visuellen Details, oftmals fühle ich mich beim Lesen in einen Film vom Stile „Cleopatra“ mit Elizabeth Taylor versetzt, oder schlimmer, in einen Sissi-Film in Altägypten, so prunk- und prachtvoll, farbig und überladen ist das Bild, das Gedge von Ägypten vor 3500 Jahren malt. Und ihre Charaktere entsprechen dem Ambiente – natürlich sind alle Guten unglaublich gutaussehend, stärker als stark, genialer, klüger, schöner, besser, brillianter als alle anderen.
Es ist ungemein ermüdend, so viel Perfektion zu ertragen, und der schwülstige Sprachstil macht diesen Roman für mich zusätzlich nur zu einem geringen Lesevergnügen. Die Tatsache, dass die komplette Handlung im engsten Dunstkreis des „Adels“ von Altägypten stattfindet und das reale Leben nur Randerscheinung ist, verschärft das Gefühl, die Romanumsetzung eines Leinwandepos zu lesen.
Die Welt teilt sich fein säuberlich in die Guten und die Bösen, schwarz und weiß, ein Muster, das Gedge nur selten verlässt, wenn sie tatsächlich anerkennt, dass es neben persönlichem Ehrgeiz auch so etwas wie Staatsräson geben kann.
Die Schwerpunkte, die Gedge bei ihrer Auswahl des Lebens der Pharaonin setzt, sind für mich schwer nachvollziehbar – so widmet sie ein komplettes Viertel der gesamten Romanstrecke zwei (belanglosen) Jahren in der Jugend Hatschepsuts, ehe diese zur Frau wird, dafür bleiben religiöse und politische Themen, die am Ende logisch zum Fall der Herrscherin führen sollen, fast vollständig außen vor.
Immer wieder wird nur die Großartigkeit des Königs Hatschepsut im goldenen Lichtschein dargestellt, ihre Berufung, ihre Bestimmung, ihre Göttlichkeit, ihre angebliche Machtbesessenheit über die Gepflogenheiten ihres Landes und ihrer Religion hinaus, die sich so gar nicht mit dem antiken Verständnis von ma’at verträgt, die jeder Pharao, ganz besonders aber einer mit dem Thronnamen Maat-Ka-Re, über alles stellte. Ob Haushofmeister oder Hohepriester, Bruder oder Stiefsohn, Bauernsohn oder Architekt, alle scheinen ihrem Glanz und ihrer Anmut verfallen zu sein, jeder liebt sie und ist dankbar, ihr dienen zu dürfen.
Die tatsächliche Pharaonin hinter all diesem Glanz auszumachen ist fast unmöglich, ebenso wie das Leben im Ägypten der Antike hinter Gold und Glorie zu verblassen scheint; die realen Probleme, denen sich ein Pharao im Alltag ausgesetzt gesehen haben mag, verschwinden hinter Lug, Trug, Intrigen und persönlichen Machtspielchen vom Stile Dallas am Nil.
Kurzum, wer ein buntes Melodram mit viel Spektakel mag, wird hier bestens unterhalten. Wer einen historischen Roman sucht, der die Zeit der Thutmosiden besser verstehen hilft, sollte von diesem Roman Abstand nehmen – auch, weil er sich sonst fragen wird, warum eine Hatschepsut vom Geschlecht der Thutmosiden redet, oder wie Schritte hallen können in Sälen eines Palastes, der aus Lehmziegeln und Holz errichtet wurde, woher die „mit Gold oder Silber bedeckten Steinfliesen“ in diesen Palästen kommen, warum die Kinder des Königs nicht im Harem wohnen, oder woher die Pharaonen Ventilatoren kannten…
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