Sylvain Tesson – In den Wäldern Sibiriens
Eines schönen Tages kommt Sylvain Tesson auf eine im besten Wortsinne Schnapsidee: Er möchte ein halbes Jahr am Baikalsee leben, in selbstgewählter Isolation. Und so zieht er in eine Holzhütte in der Nähe des Sees, 120 km vom nächsten Außenposten der Zivilisation entfernt, ausgerüstet mit einem Holzofen, zwei Hunden, sehr viel Wodka und Nudeln, und einem Notizbuch, in dem er sein tägliches Dasein wie seine Gedanken festhält.
In den Wäldern Sibiriens: Tagebuch aus der Einsamkeit
von Sylvain Tesson (Autor), Claudia Kalscheuer (Übersetzerin)
Sylvain Tesson darf man wohl als seriellen Extremreisenden bezeichnen. Der studierte Geograph gilt heute als einer der wichtigsten Reiseschriftsteller Frankreichs, und radelte in jungen Jahren durch komplett Zentralasien. In Dans les forêts de Sibérie berichtet er von seinem einfachen Leben in der Wildnis, den Saufgelagen mit den einen oder zwei Tagesmärsche entfernt lebenden russischen Nachbarn, die wie er vom Jagen, Angeln und Fischen leben und der einen oder anderen Geschichte bei Schnaps nie abgeneigt sind, und all den Dingen, über die er beim Herumlaufen oder auch nur vor dem Ofen in seiner Hütte sitzend so nachdenkt.
Und am Baikal hat er sehr viel Zeit zum Nachdenken – über sich, sein Leben, Beziehungen (von denen eine gerade, wohl nicht überraschend, den Weg alles Irdischen geht), die Welt, und das Dasein an sich. In seine daraus entstandenen Texte flicht Tesson eine große Bandbreite an philosophischen und literarischen Zitaten und Gedanken ein, die ihn beschäftigen, oder ihm passend erscheinen.
Interessant fand ich die Beschreibung seines „Walden“ am tiefsten See der Welt einschließlich der Details zur grandiosen Natur, die ihn umgibt, und seine selbst- und gesellschaftskritischen Überlegungen. Die Berichte seiner Saufgelage fand ich weniger spannend; seine Grübeleien variieren von grandiosen Einsichten bis zu „Meine Güte ist der Kerl ein Vollidiot“. So bin ich am Ende auch zwiegespalten, was die Person Tesson angeht. Das Buch allerdings ist sehr vergnüglich und abenteuerlich zu lesen, wenn man über etwas zu viel Nudeln mit Tabasco, Selbstbeweihräucherung und brusttrommelndes Männlichkeitsgehabe hinwegsehen kann.
Bewertung: