Christian Jacq – Die Ägypterinnen
Christian Jacq ist studierter Ägyptologe, und hat einige Reihen bekannter Romane geschrieben, die im alten Ägypten angesiedelt sind. Dankenswerterweise hat er aber seine Fachkenntnis, gepaart mit der Fähigkeit, derlei Themen flüssig zu vermitteln, auch in einige Sachbücher zum Thema gepackt.
In
Die Ägypterinnen – Eine Kulturgeschichte
stellt Jacq die These auf, dass Frauen im pharaonischen Ägypten eine besondere Stellung einnahmen, die dieses Staatsgefüge und seine Gesellschaft deutlich von allen darauf folgenden (bis zur heutigen „modernen“ Gesellschaft) unterscheidet.
Diese These belegt er anhand von zahlreichen Portraits historischer Frauengestalten des Landes am Nil – von Königinnen, Königinmüttern und Pharaoninnen, über Priesterinnen, Ärztinnen, Heilerinnen und Schreiberinnen bis zu Geschäftsfrauen und Handwerkerinnen.
Stets streut er die kultischen Zusammenhänge ein, lässt im Kopf des Lesers ein zutiefst religiöses Ägypten entstehen, geleitet von der Ma’at, der allem innewohnenden Ordnung, zeigt aber auch die rechtliche Seite auf – etwa dass Frauen im pharaonischen Ägypten heiraten konnten wen sie wollten, ihr Leben lang Hüterinnen ihres eigenen Vermögens blieben, frei kommen und gehen konnten wohin sie wollten, kurzum: nicht automatisch einer patriarchalen Kontrolle unterlagen.
Faszinierend sind seine Einblicke in die Welt des ägyptischen Harems, einer Institution, die mit dem orientalischen Harem rein gar nichts gemein hat, sondern eher eine angesehene Handwerks- und Künstlergemeinde beschreibt, oder seine – bisweilen bissigen – Seitenhiebe auf die wohl nur allzu glühende Phantasie mancher Ägyptologen. So ist nach Jacqs Auffassung vieles, das wir heute für ‚reale‘ altägyptische Geschichte oder Fakten halten, nur den Köpfen und Interpretationen von Altertumsforschern entsprungen. Beispielhaft zeigt er dies an der Pharaonin Hatschepsut und den Gerüchten über ihre angebliche „Auslöschung“ aus den historischen Annalen durch ihren Nachfolger.
Spannend finde ich die Exkurse des Wissenschaftlers in die Medizin der Ägypterinnen, die nicht nur wirksame Verhütungsmittel kannten (Kinder zu bekommen war für eine Ägypterin keine Pflicht), sondern auch mit, wie man heute weiß, natürlichen Antibiotika agierten, und eine hoch entwickelte Gynäkologie besaßen, die sogar Krebsleiden behandelte.
Die Ägypterinnen. Eine Kulturgeschichte liest sich ausgesprochen flüssig, allerdings setzt der Autor sehr viel Hintergrundwissen über die ägyptische Götterwelt voraus, das man sich nebenbei erarbeiten muss, sollte man es noch nicht besitzen – eine systematische Darstellung des pharaonischen Pantheons wäre hier hilfreich gewesen. Will man die Stellung der Frau im Land von Binse und Biene tatsächlich begreifen, kommt man nicht umhin, sich dieses Wissen über die Göttinnen und Götter auch noch anzueignen.
Die Lektüre vermittelt ein interessantes Bild der ägyptischen Kultur vor 2000 und mehr Jahren, wenn auch Jacq, wohl um seinen Punkt zu unterstreichen, manche Themen ausspart. So sind die Frauenfiguren, die er uns zeigt, stets erfolgreiche Frauen der Oberschicht oder des Königshauses, der Tempel oder auch Aufsteigerinnen.
Bei Jacq wird die Tatsache, dass das pharaonische Reich in großem Maße auf Sklavenarbeit angewiesen war (unterstrichen durch seinen Hinweis, dass viele Frauen keine Kinder hatten, und die durchschnittliche Kinderzahl unter 2 pro Paar lag!) schlicht negiert, statt dessen beschreibt er die Sklaverei als eine Art Arbeitsfreizeit, bei der man praktischerweise frei und reich werden konnte, quasi als Gastarbeiter, denen man nur ein kleines bißchen nachhelfen musste damit sie einsahen, wie toll doch Ägypten für ihre Karrieren war. Dabei zeigt Helck im Lexikon der Ägyptologie auf, dass z.b. ein durchschnittlicher Beamtenhaushalt im Mittleren Reich rund 75 Sklaven und Sklavinnen, zur Hälfte etwa Männer und Frauen, zur Hälfte etwa Asiaten und Ägypter, unterhielt, und Sklaven vererbt oder verkauft wurden, ebenso deren Kinder. Dagegen Jacq:
In Griechenland und in Rom wurden gewisse Arbeiten von Sklaven erledigt, die man kaufen und auch wieder verkaufen konnte; in Ägypten gibt es nichts Vergleichbares. Kein menschliches Wesen wurde hier als eine seelenlose Sache betrachtet.
Auch die Tatsache, dass zu dem Strafrepertoire des pharaonischen Ägypten unter anderem die Versklavung von Frauen und Kindern gehörte, also eine Sippenhaft; dass Folter ein akzeptiertes Strafmittel darstellte; dass die „freie“ Frau in der „heiligen“ Ehe auf Erlaß eines Pharaos dem Manne weggenommen werden konnte; dass z.B. im Alten Reich Frauen als „Acker für den Herrn“ betrachtet wurden; dass die angeblich gleichgestellte Frau in der Ehe die einzige war, für die ein Ehebruch (drastische) Folgen hatte – das alles lässt Jacq weg.
So kann man Jacqs Buch über die Ägypterinnen und ihre Kulturgeschichte als eine Seite einer Medaille sehen, die das schöne, das erhabene, das idealisierte pharaonische Ägypten zeigt, allerdings die Schattenseiten ausblendet. Das Buch macht Laune, die Forschung mit neuen Augen zu betrachten und nicht alles als gegeben hinzunehmen, was Experten behaupten – das gilt allerdings gleichermaßen für dieses Werk von Christian Jacq.
Lesenswert – cum grano salis.
Bewertung: