Susan Sontag – On Photography
In insgesamt 6 Essays, die ursprünglich im New Yorker erschienen, näherte sich Susan Sontag, die Grand Old Lady der amerikanischen Literatur und nicht selten auch das denkerische Aushängeschild derselben, dem Thema Fotografie. ‚Näherte‘ deswegen, weil der Entstehungszeitraum dieser Essays bzw. die Erstauflage des Buches von 1977 datiert. Sontags Ansatz ist kein technischer, sondern ein philosophischer, sie interessierte, warum der Mensch Bilder macht, welche Wertigkeit diese Bilder besitzen, vermitteln, haben und suggerieren zu haben. Fotografie und Moral scheinen weit voneinander entfernt zu sein, behauptet man doch gerade von der Fotografie oft, objektiv zu sein (daher ja auch der Begriff ‚Objektiv‘ für die optischen Linsen mit denen das ‚Subjekt‘ abgelichtet wird), ’nur die Realität‘ abzubilden.
Sontag räumt in
On Photography
mit diesem Vorurteil auf, zeigt auch anhand der Arbeiten weltbekannter Fotografen von den frühen Anfängen bis in die Neuzeit der Fotografie, welche impliziten Muster und Werte sie voraussetzten, weitergaben, welches Verständnis der Fotografie wie der Welt sie transportierten, zeigt, wie Fotografie und Entfremdung, und generell die Manipulation der Massen zusammengehören. Von Cartier-Bresson über Sander, Stieglitz, Weston, Adams bis Arbus, kaum einer der großen Namen der Fotografie wird ausgelassen.
Die Autorin benennt die Definitionsmacht der Fotografie, die auswählt, was fotografierenswert, wichtig, ästhetisch ist, stellt die ‚Sachfotografie‘ gegen den Begriff der Kunst und behauptet, dass beide sehr viel mehr miteinander gemein haben als die Vertreter der jeweiligen Stilrichtung zugeben würden.
Sontag wirft interessanterweise aber nicht nur die Wirkung von Fotografien, sondern auch ihre Nichtwirkung in die Waagschale. Für sie gilt, dass Bilder von Krisen und Menschen in erbarmungswürdigen Umständen niemanden dauerhaft zu einer Änderung seiner Wertmaßstäbe bringen, ja diese vielmehr homo sapiens nachgerade abstumpfen lassen gegen das Elend, dadurch dass uns eine konstante Bilderflut überschwemmt und den Reiz des Neuen zerstört, der uns vorher noch betroffen gemacht hätte.
Man muss sich bewußt machen, dass diese Texte von vor einem guten Vierteljahrhundert stammen. Die schiere Menge und Geschwindigkeit mit der wir im 21. Jahrhundert Bildinformationen aller Arten, originalen wie bearbeiteten, bewusst manipulierenden wie unbewusst verfälschten, ausgesetzt werden, lassen vermuten, dass Sontags Thesen keineswegs überaltert sind, sondern gerade heute dazu verhelfen können, ein neues (Selbst-) Verständnis in der Fotografie zu entwickeln und sich selbst und das eigne fotografische Schaffen mit anderen, nachdenklicheren Augen zu sehen.
Der Leser muss nicht alle Ansichten der Autorin, die von fotografischer Technik zB. überhaupt keine Ahnung hat, teilen, und auch Fotografie nicht so amerika-zentriert betrachten wie sie, um aus ihren teils provokanten Gedanken Gewinn zu ziehen. Für jeden, der sich ambitioniert mit Fotografie befasst, ist dieses Büchlein sehr lesenswert, gerade weil es hier nicht um Blenden, Filmsorten, Urheberrechte oder andere alltägliche Fragen geht, sondern um das ‚Grosse Ganze‘, den Sinn und die Moral.
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