Krimi / Thriller Science Fiction

William Gibson – Pattern Recognition

Der 1. Band der Blue-Ant-Trilogie

Pattern Recognition hat es bei io9, dem grossen Scifi-Portal, auf die Liste der Top 20 der ScienceFiction & Fantasy der Dekade geschafft, und so bin ich dann froh, mit William Gibsons Roman doch wenigstens eines dieser Bücher gelesen zu haben. (Autorin Annalee Newitz bezeichnet es als ‚reine‘ Scifi-Liste, aber die Harry-Potter-Bücher gehören für mich definitiv nicht in die SF).

Pattern recognition

William Gibson – Pattern Recognition

Gleichzeitig ist das aber auch erstaunlich, denn Pattern Recognition ist eigentlich kein Science-Fiction Roman, eher schon das, was man als Gegenwartsliteratur bezeichnet, für den durchschnittlichen Literatur-Rezensenten vielleicht ein bisschen zu geekig und nerdig, aber im Großen und Ganzen ein Roman, der in der Jetztzeit spielt und sich ihrer Mittel, Schauplätze und Marken bedient.

Die Hauptfigur, Cayce Pollard, erinnert auffällig an Marly Kruschkova, und das ist fast das Beste, was man über sie sagen kann. Zu Beginn des Romans ist Cayce, gesprochen Case (wird Gibson hier nicht etwas arg selbstreferentiell, oder gehen ihm die Charakternamen aus?), noch eine Figur die neugierig macht, und deren seltsamer Tick, auf viel beworbene Logos und Markennamen allergisch zu reagieren, eigenartig mit ihrer Fähigkeit korrespondiert, Trends zu erkennen. Cayce ist ein hochbezahlter Spezialist, ein ‚cool hunter‘, eine Beraterin in Sachen Top-oder-Flop wenn es um Marketingaktionen geht.

Ihr Spleen, keine Massenwaren zu tragen und nur ‚echte‘ Originale, wahre Designschätze an ihren Körper zu lassen, diese aber bar jeden Logos (Gibson hat anscheinend No Logo aufmerksam gelesen), macht sie fast zu einer Stil-Ikone, macht Laune, sich auf die gleiche Weise dem marktschreierischen Logogedröhne unseres Alltags zu entziehen. Aber Cayce schafft es durch den ganzen Roman nicht, aus einem halb jetlag-bedröhnten, halb soziophoben Beinahe-Komazustand zu so etwas wie richtigem Leben zu erwachen, obwohl die Aufgabe, die sie erwartet, unglaublich faszinierend zu sein scheint. Sie jagt „Footage“.

Das größte Rätsel, das sich dem Leser am Anfang des Buches stellt, ist die Frage, was „footage“ überhaupt ist, und warum Cayce davon so fasziniert ist, warum Menschen auf der ganzen Welt dieser Footage nachjagen und ihren Sinn zu ergründen suchen. „Footage“, stellt sich heraus, sind winzige Videoschnipsel, kinofilmartige Ausrisse aus einem Gesamtwerk oder auch filmische Vignetten, die für sich allein stehen – das ist bei den Fans umstritten – und was die „footage“ umso interessanter macht, ist ihre mysteriöse Herkunft. Leider kann Gibson dem Leser die Faszination der Fans für die Footage nicht vermitteln, denn seine Beschreibung der Videoclips ist nicht minder ausrisshaft. Niemand weiß, wer diese Videos produziert, woher sie kommen, oder auch nur, wie sie ins Web gelangen.

Das Web ist, neben London, New York, Tokio, den Wohnungen von Freunden, Hotelzimmern, auch der primäre Aufenthaltsort von Cayce – da wäre auf der einen Seite das Web-Board / Forum der Footage Fans, mit allen Auswüchsen und Trollen, wie sie in real existierenden Bulletin Boards schon lange vorkommen, und ihre E-Mail, aufdringlich konsistent als „Hotmail“ bemarkennamst.

Überhaupt, die Markennamen. Natürlich befasst sich ein Trendscout mit Marken, und die Marken-Allergie von Pollard ist einer der Punkte, die sie spannend und zum Teil sympathisch machen – Gibson treibt das allerdings zum Exzess, seine Anmerkungen etwa zum Selbstmarketing von British Airways und Virgin Atlantic sind zwar halbwegs erheiternd, aber weder plottragend noch notwendig, ebensowenig wie das ständige Auftauchen von Prada, Hotmail und anderen. Man kommt sich wie ein einem schlechten Agentenfilm des beginnenden 21. Jahrhunderts vor – product placement galore, und das ausgerechnet in einem Buch, dessen Hauptfigur das wirklich widerlich fände.

Um die „Footage“, ihre Herkunft und Wirkung baut Gibson einen komplexen Plot auf, der umso mysteriöser und vielschichtiger wird, je näher Cayce der Frage kommt, woher die Filmschnipsel stammen. Gemeinsam mit den Geeks im Footage-Fan-Board versucht Cayce, dem Mysterium auf die Spur zu kommen – dazu schrecken sie auch vor schrägen Dingen wie der Erzeugung einer virtuellen Person nicht zurück, die einem japanischen Footage-Fan durch ihre geballte Anhäufung beliebter japanischer Sex-Fetische und die Aussicht auf ein Real-Life Treffen in Tokio ein Geheimnis entlocken soll.

Auf der anderen Seite zieht Gibson dann – schwuppdiwupp – deus ex machina – mal eben alte NSA-/CIA-Kontakte von Cayces Vater (nein wie praktisch) aus der Tasche, die ihr ermöglichen, Dinge in Erfahrung zu bringen, an deren Klärung die Mächtigen des Romans bisher verzweifelt sind.

Ich habe Pattern Recognition mit Spaß gelesen – ich kann mich in die Geek-Welt, in der sich Cayce herumtreibt, gut hineindenken, wenn ich die Ausgangsbasis (Dasein im internationalen Jetset) auch etwas unglücklich als Setting finde – erneut habe ich James-Bond-Reminiszenzen.

Die teilweise lakonische, reduzierte, abgehackte Sprache Gibsons harmoniert sehr gut mit der Realitätswahrnehmung der Hauptfigur, und der Art und Weise, wie sich viele Netizens ausdrücken. So zwingend und in der Bildsprache beeindruckend wie etwa die Sprache von Neuromancer ist der Text jedoch nirgends. Schließlich fehlt es Pattern Recognition am Ende an einer Vision – die Aufklärung des großen Mysteriums um die Footage ist dermaßen konstruiert und unglaubwürdig und banal, das Ende so antiklimaktisch, dass ich mich frage, wie einem Profi wie Gibson (und seinem Lektor) ein solcher (Anfänger-) Fehler in der Plotausgestaltung unterlaufen kann. Es wirkt, als habe er zwar das Mysterium erdacht, sich aber nie Gedanken über eine schlüssige oder gar spannende Auflösung gemacht – das ist extrem unbefriedigend.

Gibsons Überlegungen zur Macht von Medien, viralem Marketing, und den subliminalen Verlockungen des markenzentrierten, konzernbasierten Universums um uns herum sind die Stärke dieses Buches, machen nachdenklich, und knüpfen ganz vorsichtige Bande an die Systemkritik des Cyberpunk. Das ist auch das, was für mich am Ende diesen Roman trotz austauschbar mondän-urbaner Schauplätze, vergleichsweise flacher Charaktere und einem unsäglich öden Ende lesenswert macht. Einen Platz in den Top Twenty der Dekade hat er allerdings nicht verdient.

Bewertung: ★★★☆☆