Michael Connelly – The Poet
Der erste Roman mit Jack McEvoy
Michael Connelly – The Poet
Jack McEvoy, Reporter mit dem Fachgebiet Tod, wird mit dem Selbstmord seines Bruders Sean konfrontiert. Jack, der gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder eine Leiche im Keller hatte, mag nicht glauben, dass Sean, der bei der Mordkommission von Denver arbeitete und glücklich verheiratet war, seinem Leben einfach ein Ende gesetzt hat. Seine Untersuchungen fördern schon bald zu Tage, dass etwas an der Selbstmordgeschichte zum Himmel stinkt. Und sein Bruder ist nicht der einzige Cop, der unter mysteriösen Umständen ums Leben kam und den Indizien nach ein Selbstmörder war. Er beginnt zu recherchieren…
Michael Connelly beschert uns einen Helden mit einem Flecken auf der Seele, und mit einigen moralischen Defiziten, was ihn umso glaubwürdiger macht. Seine Charaktere – ob die harte FBI-Agentin, die im Kleinkrieg mit ihrem Ex-Ehemann liegt, oder der ehemalige Cop, der den Namen seines Kollegen um jeden Preis reinwaschen will – sind authentisch und lebensecht und haben doch die gewisse Stereotypie, die sie auch zu Helden eines Films mit Susan Sarandon und Tommy Lee Jones machen könnte. Da stört auch nicht weiter, dass der Reporter mal eben das FBI erpresst, um an den Untersuchungen beteiligt zu werden, was ihm heutzutage (das Buch stammt von 1998) unter dem Home Security Act wohl eher Einzelhaft ohne richterliche Anhörung einbrächte.
Mit rasantem Tempo macht der Leser gemeinsam mit Jack McEvoy Entdeckung um Entdeckung, die einem den Atem nimmt und den Plot so schnell vorantreibt, dass man kaum aufhören mag zu lesen. Gewürzt wird das Ganze mit einer kleinen Romanze, von der man schon frühzeitig ahnt, dass sie dem Untergang geweiht sein muss. Und schließlich wird das gejagte Phantom, der Mörder, mit dem Namen „The Poet“ belegt, da er seine Opfer dazu bringt, Abschiedsnachrichten mit Zeilen aus Gedichten von Edgar Allan Poe zu verfassen…
Eigenartig an diesem Roman sind aber, unter anderem, die erzählenden Einschübe über William Gladden, einen Pädophilen, der, so erfahren wir bald, mit der Kamera kleine Kinder (vorzugsweise nackt) ablichtet und vom Verkauf dieser Bildchen in einem Pädo-Netzwerk seinen Lebensunterhalt bestreitet. Der Charakter wird, wie wir es von Connelly gewohnt sind, sehr genau in allen grimmigen und kaputten Details gezeichnet, und der Autor ermöglicht uns einen tiefen Blick in den Abgrund menschlicher Seelen, dennoch stellt es eine ungewohnte Abweichung von der Ich-Erzählweise dar, die Connelly z.B. in seinen (frühen) Harry-Bosch-Romanen konsistent durchhält.
Diesen Bruch mit der Konvention könnte man Connelly noch verzeihen, schließlich ist Gladden ein wichtiger Faktor in der mysteriösen Cop-Mordserie, wären da nicht weitere Brüche… die Story hat einige (für Connelly extrem untypische) inhaltliche Schwächen und logische Lücken (z.B. Hypnose der Opfer durch den Täter nach Beeinflussung durch codeinhaltigen Hustensirup *gähn*). Vollends zum Kippen kommt der Roman dann in seiner Endphase.
Zwei der klassischen Forderungen an einen Krimi erfüllt „The Poet“ nur sehr bedingt – der Held trägt zwar zur Aufklärung bei, auf die tatsächliche Lösung kommt er aber nicht – und das kann er auch nicht, da die durch das Buch gestreuten Hinweise niemanden vermuten lassen *können*, wer wirklich hinter der Mordserie steckt. Fast wirkt es, als sei ursprünglich ein anderes Ende vorgesehen gewesen, und das gedruckte nur eine nachträgliche Hinzuerfindung eines Lektors. Etwa ebenso lustlos ist dieser Teil auch heruntergeschrieben, und der Schlusspunkt ist absolut unbefriedigend.
Für Michael Connelly-Fans sicher unverzichtbar, allen anderen sei zum Einstieg in die fantastischen, detailreichen und hoch atmosphärischen Thriller dieses ansonsten wirklich genialen Autors der erste ‚Harry‘ Hieronymus Bosch-Roman, The Black Echo, empfohlen. Und wer einigermaßen Englisch versteht, sollte Connelly im Original lesen – es lohnt sich!
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