Medizin

Daniel G. Amen – Healing ADD

Daniel G. Amen ist Psychiater und Neurowissenschaftler und einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet von Neurologie und Verhalten. Darüber hinaus sind auch seine Kinder von ADD betroffen. Er gilt als Spezialist auf dem Bereich von Gehirnscans mit Hilfe der SPECT (single photon emission computed tomography) Technologie, und auf dieser Arbeit beruht auch sein Buch „Healing ADD – The Breakthrough Program That Allows You to See and Heal the 6 Types of ADD“.

Daniel G. Amen – Healing ADD

Wie der Titel schon deutlich macht, geht es hier vor allem um die 6 Typen ADD, die Amen anhand von unterschiedlichen Durchblutungsmustern im Gehirn und damit korrelierenden Verhaltens- und Reaktionsauffälligkeiten ausgemacht haben will. Diese 6 Typen nennt er Klassisches, Unaufmerksames, Überfokussiertes, Temporales, Limbisches und Ring-des-Feuers ADD. Diesen Typen ordnet er bestimmte Verhaltensweisen zu, und in einem Selbsttest soll der Leser sich selbst auch in einem – oder mehreren – dieser Typen wiederfinden können. Eine genaue Einordnung ist allerdings nur mit einem speziellen Hirnscan möglich, den Amen extra weiterentwickelt hat.

Die Hälfte des Buches widmet sich ausschließlich Amens Typisierungen, die allerdings (außer bei Amen) nirgends in der Fachliteratur zu finden sind, und denen es ohne die Original-Amen-Spect-Scans auch an Belegbarkeit fehlt, des weiteren sind die Grenzen zwischen vielen Typen so fließend, dass diese Kategorisierung eher willkürlich anmutet.

Wenn Amen dann ein Fallbeispiel bringt wie das eines 62jährigen Patienten, der nie mit seiner Frau sprach, depressiv und zerstreut war, und das dank eines Sportprogramms, Nahrungsergänzungen und einer Umstellung seiner Ernährung in einem Monat alles beseitigt haben soll, fragt man sich, wie ernst Amens Forschung zu nehmen ist, zumal sich bei der Auflistung bestimmter Verhaltensauffälligkeiten als Symptome für bestimmte ADD-Typisierungen der Eindruck aufdrängt, dass es hier mehr um soziale Anpassung als um Heilung oder echte Hilfe geht.

Die Texte zu den ADD-Typen sind zusätzlich mit neurochemischen Begriffen vollgestopft, die zwar den Eindruck unterstreichen, dass Amen das alles gründlich erforscht hat, das Buch aber für interessierte Laien teilweise stark verkomplizieren. Wenn alles, was mit ADD zu tun hat, so sonnenklar wäre, wie es hier suggeriert wird, und die Diagnose mit Amens Wunder-Scan so einfach, dann fragt man sich unwillkürlich, warum der Rest der ADD-Forscher darauf beharrt, dass die Diagnose lang und kompliziert sei.

Im zweiten Teil macht sich der Arzt dann daran, seine Therapie-Vorschläge für ADD-Patienten allgemein und in einigen Bereichen spezifisch für die jeweiligen Typen zu notieren.

Nicht besonders überraschend nennt er zunächst so bahnbrechend neue Erkenntnisse wie die, dass körperliche Bewegung gesund ist und auch der Psyche gut tut, dass eine ausgewogene Ernährung sinnvoll ist, und, o Wunder, eine Medikation mit gängigen ADS-Medikamenten wie Methylphenidat angezeigt sein dürfte. Dazu kommen Vorschläge zu Nahrungsergänzungsmitteln von wissenschaftlich sinnvoll bis hoch-esoterisch und fragwürdig, zum Erlernen von Tiefatmungstechniken, Selbsthypnose, Coaching, dem Entwickeln von „Schlafstrategien“ und schulische Strategien – wie sich überhaupt das Buch primär an Eltern verhaltensauffälliger Kinder richtet.

Wer sich ernsthaft mit ADD auseinandersetzt, kommt an Amen nicht vorbei, in wie weit allerdings seine Schlüsse stimmen, das müssen Wissenschaftler prüfen. Da man sein ‚bahnbrechendes‘ Programm bislang aber nur mit einem seiner Gehirnscans absolvieren kann – der Selbsttest ist nicht aussagestark – ist das Buch letzten Endes eine Patientenanwerbung. Dennoch gibt es interessante Passagen, etwa den Teil über Nahrungsergänzungen. Gerade der Wert von Nahrungsergänzungen ist ein Thema, das stark umstritten ist, und sie stellen einen weiteren Eingriff in eine gestörte Biochemie dar, über dessen mittel- und langfristige Folgen wir nichts wissen, weswegen ich das zwiespältig sehe.

In den Therapievoschlägen von Dr. Amen steckt noch so manches Körnchen an interessanten Ansätzen, die für Leser, die in Sachen ADD bewandert sind, durchaus eine weitere Verfolgung wert sein könnten. Ob es sich allerdings lohnt, einige Stunden Lebenszeit zu verschwenden, um sich diese Körnchen aus dem ansonsten verzichtbaren Text herauszupicken, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Das Totalversprechen einer Heilung kann Amen jedenfalls nicht einhalten, und das meiste von dem, was in diesem Buch steht, ist alles andere als neu oder revolutionär, wenn nicht sogar fragwürdig.

Bewertung: ★★☆☆☆