Scott Kelly – Endurance
Im Jahr 2015/2016 verbrachte der NASA-Astronaut Scott Kelly (beinahe) ein Jahr auf der ISS, der internationalen Raumstation. Schon zuvor war er im All – als Spaceshuttle-Pilot, und auch auf der ISS. In
Endurance: A Year in Space, A Lifetime of Discovery
erzählt Kelly von diesem Jahr im All und den ganz besonderen Herausforderungen, die diese Aufgabe mit sich brachte – körperlichen, zwischenmenschlichen, psychischen und administratorischen. Im Wechsel mit seinen beinahe Tagebucheinträgen von der ISS beschreibt er, wie er überhaupt dahin kam, wo er nun ist, nämlich im All und auf der ISS. Dabei waren seine Bedingungen zunächst nicht die besten… er war ein unaufmerksamer, undisziplinierter Schüler, heute würde man wohl ADHS vermuten, und hatte keine guten Noten. Eigentlich hatte er auch keinen Plan, was er mit seinem Leben machen soll, bis ihn die Erleuchtung in Form eines Buches von Tom Wolfe ereilte, und er beschloss, Pilot und dann Astronaut zu werden. Sein Zwillingsbruder Mark war bereits bei der Navy, und so setzte er alles dran, Marineflieger zu werden. Sein Bruder war es auch, der ihm den metaphorischen Tritt in den Allerwertesten verpasste, und ihn dazu brachte, hart für seine Ausbildung zu büffeln.
Kelly erzählt haarklein von seinem Ausbildungsweg, und manches ist für mich etwas lang und überdetailliert geraten; im Kontext erschließt sich dann aber oftmals, warum er bestimmte Dinge so detailliert erklärt – wie die Probleme beim Landen eines Kampfjets auf einem Flugzeugträger etwa; eine Erfahrung, die sich später beim Landen eines Space Shuttles als sehr hilfreich erweisen sollte. Überhaupt ziehen sich durch das Buch vor allem zwei Lektionen: Zum einen, dass Kelly von sich selbst sagt, wenn mir jemand eine Aufgabe gibt, mache ich die, egal wie hart sie für mich ist; und zum anderen, dass man nie zu alt ist, noch obskure und völlig fachfremde Dinge zu lernen – etwa das fachgerechte Sezieren von Mäusen, um an Bord der ISS medizinische Experimente vollführen zu können.
Ins Buch eingestreut sind natürlich auch wesentliche Momente der Raumfahrtgeschichte, wie Scott Kelly sie erlebt hat – die Challenger-Katastrophe ebenso wie die Zerstörung der Columbia, die auch auf seine Karriere direkte Auswirkungen hatte. Der Teil über die Raumfahrt und sein Tagebuch von der ISS sind das, was mich wirklich interessiert hat. Nebenbei habe ich dann noch einiges über die russische Volksseele gelernt, die Sicht eines Amerikaners auf europäische, russische, japanische Kulturen und Kollegen kennengelernt, und eine ganze Menge Detailinfos zur Ausbildung bei der Navy und den Marinefliegern erhalten, von denen ich auf ein paar hätte verzichten können. Relativ kurz kamen dagegen die persönlichen Dinge wie Familie, Freunde, Beziehungen, was ich verstehen kann, aber die Person Kelly etwas besser abgerundet hätte, als die doch eher knappen Beiträge zu seinen Töchtern oder seiner Ex-Frau. Bemerkenswert aber auch hier, dass Kelly durchaus ohne Beschönigung in der Lage ist, eigene Fehler zu sehen, sich einzugestehen, und daran zu arbeiten, es besser zu machen.
Man muss schon ein Space und Aviation Nerd sein, um dieses Buch komplett zu lesen – ich gestehe, ich habe ein paar Seiten seiner Ausbildungsgeschichte überblättert. Dafür habe ich dann fasziniert seine Beschreibungen von Space Walks verschlungen (die, so cool und lässig sie auch aussehen, stundenlange, harte Plackerei sind).
Endurance ist ein mit Fakten vollgestopftes Buch, das sich dafür relativ flüssig liest. Wer sich für die Materie interessiert, wird daran seine Freude haben, für alle anderen dürfte es erheblich zu lang, detailverliebt und auch etwas trocken sein.
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