Geschichte

Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Grossen

Eines der ältesten Dokumente frühmittelalterlicher Gartenkultur, vielleicht sogar das älteste schriftliche Dokument der europäischen Gartenbaugeschichte, ist eine Verordnung Karls des Großen über „Land- und Krongüter“ und welche Pflanzen auf diesen anzubauen seien, die Capitulare de villis vel curtis imperii aus dem 8. Jahrhundert.

Zwar regelt diese umfangreiche Verordnung beinahe jeden Aspekt des weltlichen Daseins (etwa „Bauweise, Verproviantierung und Bewaffnung der Kriegskarren“, oder welche Handwerker auszubilden seien), aber sie umfasst auch nicht weniger als die Logistik eines riesengroßen Reiches und die Versorgung des nicht eben kleinen Hofstaates Karls des Großen.

Darunter sind eben auch Themen der landwirtschaftlichen Praxis – Umgang mit Saatgut, Wald- und Weidewirtschaft, Grundlagen von Ackerbau und Viehzucht. Der Staatsmann Karl der Große (und seine Verwalter) erweisen sich hier als souveräne Agrarpolitiker.

In dem Buch

»… dass man im Garten alle Kräuter habe …«:
Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Grossen

befassen sich die Herausgeber, Karl Josef Strank und Jutta Meurers-Balke, vor allem mit dem letzten Kapitel der Capitulare, welches die Duftpflanzen, Heil- und Würzkräuter, Gemüse, Obst und Vorratsbäume verzeichnet, welche Karl der Große auf jedem Hofgut kultiviert und vorrätig wissen wollte. Diese Liste ist für Gärtner wie Mittelalterforscher, vor allem auch in ethno- und archäobotanischer Hinsicht bemerkenswert und interessant.

Das Buch ist in 4 Abschnitte unterteilt, die zusätzlich farblich am Schnitt gekennzeichnet sind – der erste Abschnitt, rund 40 Seiten umfassend, widmet sich den Hintergründen der Capitulare, erklärt was die Capitulare Karls waren und bewirken sollten, und geht im Detail auf die Capitulare de villis vel curtis imperii und ihre zahlreichen Anweisungen ein. Der Text ist ein wenig trocken geschrieben, man merkt dass hier der Lehrbuchcharakter stärker im Vordergrund stand als die Unterhaltung, er erschliesst sich nur mühsam, und man muss schon ein starkes Interesse für das Thema mitbringen.

Den Hauptteil des – rundum hochwertig gedruckten und bebilderten – Hardcoverbuchs macht ein Pflanzenlexikon eben der Gewächse aus, die in Karls Liste genannt sind, und sie sind auch nach dem Erscheinen in dieser Liste sortiert, was ein wenig verwirren kann (eine Farbreproduktion dieser mittelalterlichen Handschrift ist die letzte Seite vor dem Pflanzen-Teil). Dank guter Indizes am Ende kann man über dieses kleine Eigenheit jedoch entspannt hinwegsehen.

Es folgen 110 einzelne Pflanzenporträts, die zum botanischen und deutschen Namen auch die französische, englische und niederländische Bezeichnung mitliefern, mit jeweils einer botanischen Definition, einem Absatz zur Archäobotanik, einem längeren Text zur historischen Nutzung und Bedeutung, sowie Hinweisen zur Verwendung und Bedeutung in unserer Zeit. Zu jeder Pflanze gibt es mindestens eine farbige Abbildung, oft noch Zeichnungen von Fruchtständen, oder wo passend Abbildungen alter Stiche, Zeichnungen oder Handschriften zu diesen Pflanzen.

Das ist eine wunderbare, höchst informative Sammlung, für den ambitionierten Hobbygärtner, der sich auch für alte Sorten interessiert, ebenso sehr wie für Mittelalter-Fans und Kräuterkundige. Denn während die Pastinake von den vergessenen Gemüsen heute wieder zu den bekannteren gewandert ist, werden sich wohl nur die wenigsten an Dachhauswurz, Blutmeier, Pferde-Eppich oder Ährenminze erinnern. Auch die Informationen zu archäologischen Funden oder zur Verwendung manchen Kräutleins in der traditionellen Heilkunde sind Kleinode des ethnobotanischen Wissens.

Abgerundet wird der lexikalische Teil durch eine kleine, feine Auswahl (nicht nur) mittelalterlicher Rezepte mit einigen der vorgestellten Gemüse, Kräuter und Früchte. Hier hätte ich mir eher eine historische Auswahl gewünscht, aber das ist im Wortsinne Geschmackssache.

Wer die Ideen aus dem Buch in Aktion erleben möchte: Bei Aachen / Gut Melaten wurde ein „Karlsgarten“ nach den Ideen des Capitulare de villis vel curtis imperii angelegt. Die Karlsgärten wurden im Internationalen Karlsjahr 2000 eröffnet, und ihnen widmet sich auch das letzte Kapitel des Buches, inklusive eines genauen Plans. Ans Ende gesetzt haben die Herausgeber dann noch alphabetische Indizes der verzeichneten Pflanzen nach lateinischen und deutschen Bezeichnungen.

Die Autoren:

Dr. Karl Josef Strank ist Biologe an der RWTH Aachen und Geschäftsführer des Freundeskreises Botanischer Garten Aachen e.V.

Dr. Jutta Meurers-Balke ist Leiterin des Labors für Archäobotanik des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln, und untersucht Pflanzenfunde aus Ausgrabungen

Fazit

Sehr ansprechend finde ich die Bindung mit Schutzumschlag, das große Format des Buches und die Vielzahl der ebenso schönen wie erhellenden Farb-Abbildungen, die zusammen mit einer gelungenen Typographie und kleinen Ausschmückungen wie dem lateinischen Text aus der Capitulare zur jeweiligen Pflanze (am oberen Seitenrand) dieses umfangreiche Werk zu einem echten Liebhaberstück werden lassen.

Wunderschön.

Bewertung: ★★★★½