Matthew Dicks – Something Missing
Die Hauptfigur von Matthew Dicks‘ Debutroman ist Martin. Martin ist ein ganz spezieller Typ. Er betrachtet sich selbst als Dienstleister… und die Menschen, in deren Häuser er einbricht, als seine Kunden. Denn er leistet ihnen unschätzbare Dienste. Er isst die Nahrungsmittel, die sie sowieso vergammeln ließen, erleichtert sie um überzählige Rollen Toilettenpapier oder auch portionsweise abgepumptes Shampoo, und er hinterlässt ihre Wohnungen stets absolut in dem Zustand, in dem er sie vorgefunden hat.
Auch an wertvollen Dingen (die er bei eBay verkauft) nimmt er nur die mit, die garantiert niemals vermisst werden. Um das zu erreichen, beobachtet er seine Subjekte wochen-, ja monatelang. Dabei liest er in ihren Tagebüchern, blättert in ihren Fotoalben, lernt ihren Lebensrhythmus kennen, ihre Macken und Eigenheiten, und entwickelt eine sehr seltsame, aber dennoch aus seiner Warte freundschaftliche Beziehung zu seiner Klientel. Martin ist ein Dieb, aber so in etwa der ungewöhnlichste Dieb, den man sich vorstellen kann.
Matthew Dicks: Something Missing
Seine Obsession mit seinen ‚Kunden‘ (und seine Zwanghaftigkeit und sein Drang zu Ordnung und Sauberkeit) sind so tief gehend, dass er es nicht über sich bringt, eine Zahnbürste, die ihm versehentlich in die Toilette gefallen ist, einfach wieder zurück ins Glas zu stellen, denn er malt sich die schrecklichen Folgen dieses unhygienischen Tuns aus, und das kann er ja seinen Freunden nicht zumuten.
Stattdessen versucht er sich in einer halsbrecherischen Jagd nach der perfekten Kopie der Zahnbürste in viel zu wenig Zeit darin, den Schaden, den er anrichten würde, zu verhindern – und bringt sich in Teufels Küche. Denn nun beginnt er sich auch in das Leben seiner ‚Kunden‘ einzumischen, in dem altruistischen Versuch ihnen zu helfen, die Dinge „richtig“ zu machen, Beziehungen zu retten… etwas, das mit seiner Zwanghaftigkeit ebenso kollidiert wie mit der Notwendigkeit, unsichtbar zu bleiben. Und so wird er zu einem selbsternannten Schutzengel seiner Klienten, bricht immer mehr seiner akribisch-neurotisch selbst erlassenen Regeln, die ihn schützen (und über die man sich beim Lesen königlich amüsieren kann), und es kommt, wie es kommen muss: jemand kommt ihm auf die Schliche…
Ich habe Something Missing im Urlaub gelesen und saß oft hilflos kichernd auf dem Sofa unserer Ferienwohnung oder am Strand; der Roman ist – auch wenn er sich als Krimi geriert – eigentlich eine extrem witzige Charakterstudie eines unglaublich schrägen interessanten Typen; was so genau passiert, ist im Grunde völlig schnuppe. Dafür wird man nach und nach in die etwas verquere Welt von Martin (der sich natürlich für absolut normal hält) hinein gezogen, beginnt seine Marotten zu mögen, seine nächsten Schritte vorwegzunehmen… ein hintergründiger, manchmal etwas schwarzer Humor würzt den Roman auf das feinste.
Enttäuscht war ich nur vom ein wenig seifenopermäßigen Pseudo-Happy-End; dafür liefert Something Missing aber ein ungewöhnliches Lesevergnügen, das diesen Makel mehr als wieder wett macht. Allein schon, wie liebevoll und detailgetreu Dicks seine Hauptfigur ausgestaltet und beschreibt, ist eine Lust.
Dicks‘ Englisch liest sich locker-flockig; wer des Englischen gar nicht mächtig ist, findet mittlerweile auch eine Übersetzung auf dem deutschen Markt: Der gute Dieb.
Egal ob auf Deutsch oder Englisch aber: Unbedingte Leseempfehlung. Ich hatte schon sehr lange nicht mehr so viel Spaß an einem Buch wie hier. Und ich werde mir als nächstes seinen neuen Roman, Unexpectedly, Milo gönnen.
Bewertung: