Jonathan Kellerman – Rage
Der 21. Roman der Alex-Delaware-Reihe
Im mittlerweile 21. Roman der Alex-Delaware-Krimireihe begibt sich Jonathan Kellerman auf alt vertrautes Terrain.
Jonathan Kellerman: Rage
Als an einem kühlen Dezemberabend bei Psychologe Alex Delaware das Telefon klingelt, erwartet ihr eine Überraschung – sein Anrufer ist ein Jugendlicher, den Delaware vor 8 Jahren im Rahmen eines Prozesses psychologisch auf seine Schuldfähigkeit und geistige Reife hin beurteilen sollte. Der Anrufer, der leicht zurückgebliebene Rand, hatte gemeinsam mit seinem Kumpel Troy, einem hochintelligenten Psychopathen, ein Kleinkind getötet. Nun ist er nach 8 Jahren aus dem Jugendvollzugssystem Kaliforniens entlassen worden und möchte mit Alex reden. Was er zu sagen hat, beziehe sich auf die Tat von damals, aber er möchte darüber nicht am Telefon sprechen. Spontan stimmt Delaware einem Treffen zu. Doch als er am Treffpunkt ankommt, ist niemand da. Wenig später erfährt er, dass jemand den jungen Mann ermordet hat…
Spätestens an dieser Stelle weiß der routinierte Krimileser, dass nicht alles bei dem Mordfall vor 8 Jahren tatsächlich so war, wie die Öffentlichkeit glaubte. Delaware geht gemeinsam mit seinem Freund, Lieutenant Milo Sturgis, auf Spurensuche. Wer könnte einen Grund gehabt haben, den friedlichen Rand zu töten? Ist der Vater des damals getöteten Mädchens, der schweigsame Cowboy Malley, auf Rachefeldzug? Ist seine Ehefrau, die sich die Mitschuld am Verschwinden ihre Tochter gab, wirklich bei einem Selbstmord ums Leben gekommen? Können die Reverends Drew und Cherish Daney, die die beiden Jugendlichen seelsorgerisch betreut haben, etwas Licht in das Dunkel bringen? Starb Troy, der zweite Täter, im Gefängnis, weil jemand seine Ermordung beauftragt hatte?
Schalen einer Zwiebel gleich enthüllt Delaware durch Beobachtung, manchmal aber auch treffsichere Spekulation, die Schichten eines Gebildes von Lügen, Betrug, Machtgier und Wahnsinn, um zum Kern der Vorfälle von damals und heute vorzustoßen. Und der Kern ist erschütternd…
Wie schon oft, gefallen mir auch dieses Mal an Kellerman seine präzisen Beschreibungen der Szenerie, die die Region Los Angeles mit ihren architektonischen und landschaftlichen Besonderheiten bildlich in meinem Kopf entstehen lassen.
Neben der Krimihandlung rückt in Rage Alex Delawares Beziehung zu Psychologin Allison in den Vordergrund. Eben noch stellt man mit Alex fest, wie schön es doch ist, dass er mit seiner Freundin über alles, selbst die gruseligen Teile, seiner Jobs reden kann, während er früher Robin immer beschützen musste (und wollte), sie davon nichts wissen wollte, da stoßen die beiden auch schon auf beruflichem Terrain gegeneinander und an die Grenzen ihrer Beziehung. Der Psychologe begreift, dass es manchmal sein Gutes hat, die Frau, die er liebt, vor den Geistern zu beschützen, mit denen er sich herumschlägt. Robin Castagna schließlich hat einen (wenn auch nur kurzen) Anrufbeantworter-Auftritt – überraschend ist sie nach L.A. von ihrem Leben in Seattle zurückgekehrt, und French Bulldog Spike ist alt und krank geworden. Man darf gespannt sein, was sich daraus entwickelt.
Rage führt in die Abgründe der menschlichen Seele (wie man das von Kellerman gewohnt ist) wie in die Windungen und Untiefen des kalifornischen Sozialsystems. Dazwischen entfaltet sich ein gekonnt geschriebener, spannender Kriminalroman der Oberklasse. Sicher nicht Kellermans bestes Buch, aber Unterhaltung auf sehr hohem Niveau.
Bewertung: