Daniel Kehlmann – Die Vermessung der Welt
Die Vermessung der Welt ist ein 2005 auf Deutsch erschienener Roman von Daniel Kehlmann. Thema ist die fiktive Doppelbiografie des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777–1855) und des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769–1859). Der Roman erreichte in Deutschland schon bald Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und stand für 37 Wochen auf dieser Position. Auch international war er ein großer Erfolg, die New York Times führte ihn am 15. April 2007 an zweiter Stelle der weltweit meistverkauften Bücher des Jahres 2006. Bislang wurden allein in deutscher Sprache 1,4 Millionen Exemplare verkauft.
So weit die Wikipedia.
Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
Nachdem in der lokalen Bibliothek das Buch in mehrfacher Ausfertigung im Regal steht, ja auch die Sekundärliteratur vorhanden ist, und kürzlich Kehlmann wieder in aller Munde dank seines neuen Werkes, habe ich zugegriffen und mich an die Lektüre gemacht. Alexander von Humboldt ist für mich eine der spannendsten Figuren der Wissenschaftsgeschichte, seine Abenteuer müssen hinter denen Darwins nicht zurückstehen, und Gauß interessiert mich mit einem Geographiestudium im Rücken ebenfalls sehr.
Vielleicht hätte mich der Punkt mit der Bestsellerliste warnen sollen.
Die erste Überraschung war der Umfang des Buches. Knapp 300 Seiten – bei der Thematik hatte ich eher an etwas vom Stil von Brysons Kurzer Geschichte von fast allem gedacht als an ein so übersichtliches Bändchen, aber schon bald war ich darüber ganz froh.
Kehlmann bedient sich zweier gestalterischer Tricks – zum einen greift er auf die in amerikanischen Schreibschulen hochgelobte (Un-) Sitte zurück, jeglichen Dialog, wenn überhaupt, allein mit dem Verb sagen zu kombinieren, zum anderen benutzt er keinerlei Anführungszeichen, sondern setzt direkte und indirekte Rede gleichermaßen nur mit Kommata getrennt in Szene. So erbaulich es auch ist, mal wieder einen Autor zu finden, der in der Lage ist, korrekten Konjunkiv zu formulieren, so ermüdend ist das auf die Dauer zu lesen.
Als ermüdend empfinde ich auch den altertümlichen Sprachstil, den Kehlmann sich ausgesucht hat für seinen Text – hätte die Geschichte einen in der Epoche angesiedelten Ich-Erzähler, würde das noch Sinn ergeben, auch in der Sprache der Haupthandlungsträger ist der Ductus des 18. Jahrhunderts nachvollziehbar, aber für ein im 21. Jahrhundert verfasstes Werk wirkt er mehr als nur anachronistisch. Ganz besonders, da Humboldt selbst sich in seinen Reisetagebüchern (eine lohnenswerte Lektüre für Fans des großen Gelehrten) eines sehr viel flüssigeren Stils bedient.
Überhaupt, Humboldts Tagebücher… man sollte meinen, Kehlmann hätte sich die Mühe gemacht, über seine Charaktere intensiv zu forschen, doch statt eines glaubwürdigen Abbilds zweier berühmter Gelehrter erzählt Kehlmann Anekdötchen von einem weltreisenden angeblichen homosexuellen Pädophilen, der dümmlich durch den Dschungel stolpert, macht aus Gauß einen misanthropischen alten Knochen, und lässt dabei bereits vorhandene Informationen über seine Subjekte einfach links liegen.
Da verwundert es auch nicht mehr, dass es mit der wissenschaftlichen Genauigkeit hapert (um Himmels willen, Positionsbestimmung mit Hilfe der Jupitermonde?), und die augenscheinlich erfundenen banalen Histörchen aus dem Leben von Gauß und von Humboldt sich so gar nicht mit der Faktenlage decken.
Kehlmanns Charaktere sind plump und hohl, nirgends schafft er es auch nur im Ansatz, die beiden sicherlich spannenden Persönlichkeiten zu so etwas wie Leben zu erwecken. Es fehlt eine durchgehende Linie, ein Konzept das aus den vignettenhaft aneinandergereihten Episoden ein Ganzes macht, aus dem sich irgendein innerer Zusammenhang erschließt.
Im Verein mit Kehlmanns oberflächlichem Einsatz wissenschaftlicher Begrifflichkeiten, die er schwerlich verstanden zu haben scheint, und einfach dem Mangel an jeglicher Spannung oder Staunen, an ehrfürchtigem Verneigen oder kritischem Beäugen der Leistungen der deutschen Gelehrten macht dies Die Vermessung der Welt zu einem ausgesprochen uninspirierten und langweiligen Buch. Das Titelthema, die Vermessung der Welt nämlich, umgeht Kehlmann quasi vollständig.
Wo ein Marcel Reich-Ranicki hier „fabelhafte Dialoge“ gefunden hat, bleibt mir ebenso verschlossen wie die Antwort auf die Frage, warum dieses Buch quer durch die Redaktionen der deutschen Presse so hochgejubelt und gelobt wurde. Da muss eine Marketingmaschine erster Güte angelaufen sein, denn Kehlmanns Erstling rechtfertigt rein gar nichts von diesem Hype. Aber mit dem Schlagwort „Bildungsroman“ verkauft man in Deutschland anscheinend auch schlechte Bücher noch gut.
Enttäuschend.
Wer sich wirklich für Alexander von Humboldt interessiert, sollte zu Die Reise nach Südamerika greifen.
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