Jonathan Lethem – Gun, with occasional music
Jonathan Lethems erstes Buch ist ein Cross-Genre-Krimi, eine Melange aus Mystery und Endzeit-Scifi:
Jonathan Lethem – Gun, with occasional music
Conrad Metcalf ist ein privater Ermittler. Gerade hat er einen Fall abgehakt, sich mit Drogen vollgepumpt, und in seinem kleinen Büro neben einer Zahnarztpraxis seinen Rausch durchgestanden, als ein Klient auftaucht – der jemanden ermordet haben soll. Das wäre soweit nicht schlimm, wäre das Opfer nicht Maynard Stanhunt, Metcalfs letzter Auftraggeber und Ehemann der Frau, in die Metcalf irgendwie verschossen ist.
So beginnt ein zunächst klassischer Detektivroman mit eigenartigen Facetten. Die kokainähnlichen Drogen, die Metcalf nimmt, sind legal und enthalten Substanzen wie ‚Avoidol‘, ‚Forgettol‘ und ‚Addictol‘, und PI bedeutet hier Private Inquisitor. Damit ist er ganz allein – er ist der einzige PI, den es noch gibt. Die Strafverfolgung heißt Inquisition und benimmt sich auch so; Vergehen werden sofort mit einem Abzug von Karmapunkten auf der eigenen Karmakarte geahndet. Wer kein Karma übrig hat, bekommt in dieser zukünftigen Welt nicht einmal mehr ein Hotelzimmer.
Abgesehen von der staatlichen Karmakontrolle und den öffentlich verfügbaren Drogen, die einen das eigene armselige Dasein vergessen machen, ist die Welt von Conrad Metcalf die eines film noir. Eine wirkliche Endzeit- oder SciFi-Atmosphäre will sich nicht erschließen, daran ändern auch die ‚weiterentwickelten Tiere‘ nichts. Jobs, die keine Qualifikation voraussetzen, werden in Metcalfs Welt von aufrecht gehenden Hunden und Katzen erledigt, in der Unterwelt haben wir es mit einem brutalen, skrupellosen Schläger-Känguru names Joey zu tun. Lethem integriert diese Charaktere mit der Selbstverständlichkeit, mit der auch Metcalf sie als gewohnt hinnimmt, verschenkt Möglichkeiten, das Ungewöhnliche wird gewöhnlich und damit uninteressant. Viele erklärungsbedürftige Ideen seiner Welt lässt er unkommentiert stehen.
Am Ende läuft die Geschichte auf ein Kräftemessen zwischen Metcalf, der Mafia bzw. deren Äquivalent, und der Inquisition heraus – in mehreren Iterationen, denn Metcalf wird verhaftet, eher er klären kann, wer Stanhunt wirklich umgebracht hat, und ins Gefängnis gesteckt – was bedeutet, man friert ihn für 6 Jahre ein. Als er stinkwütend wieder aus dem Gefängnis kommt, hat sich seine Welt drastisch verändert – der Inquisitor / Polizeibeamte, mit dem er eine Art Rapport herstellen konnte, Morgenlander, wurde durch einen unfreundlichen Nachfolger ersetzt, der kein Verständnis für den PI aufbringt und ihm das Leben zur Hölle macht. Und selbst die öffentlich verfügbaren Drogen haben sich verändert – Vergessen ist ‚in‘. In diesem Kuddelmuddel muss Metcalf nun seinen Fall klären – bloß haben alle Beteiligten längst im Drogenrausch die Erinnerung an das Geschehen gelöscht…
Als Versuch eines Cross-Genre-Romans ist Gun, with Occasional Music interessant, und Metcalf ist ein klassischer Underground-Detektiv mit Kanten und Ecken, dessen Art zu ticken man beim Lesen nach und nach kennen- und schätzen lernt. Nach einem eher langsamen Aufbau von Story und Charakteren ist dann der Schnitt eines Zeitsprungs etwas abrupt, und noch etwas abrupter ist das Ende, das wirkt, als hätte der Autor hier plötzlich zum Schluß kommen wollen/müssen. Leider sind die Elemente, die die Kriminalgeschichte über die normale Welt hinaus erheben, nicht detailreich genug ausgeführt, und so bleibt Lethems Roman ein klassischer Detektivroman mit verfremdenden Versatzstücken, gut lesbar, aber sicher unter seinem Potenzial. Sprachlich ist das Buch sehr gelungen, der Plot dagegen ist nicht zwingend und ödet streckenweise trotz angezogenen Tempos im Mittelteil an.
Fazit: Experimentell.
Bewertung:
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