Jörg Blech – Heillose Medizin
Jörg Blech, Wissenschaftsjournalist in Diensten von Stern, ZEIT und zuletzt dem SPIEGEL, untertitelt sein Buch mit „Fragwürdige Therapien und wie Sie sich davor schützen können“. Sehr viel prägnanter allerdings ist sein Einleitungssatz in das Buch:
„Je schlechter Menschen informiert sind, desto häufiger werden sie medizinisch behandelt.“
Das muss man erst mal wirken lassen. Den Beleg für diesen Satz liefert das Buch mehr als einmal. Da wären die Fachärzte zu nennen, die sich in mehrheitlich großer Zahl den gepriesenen Standardtherapien ihrer eigenen Profession nicht unterziehen würden, müssten sie die Entscheidung treffen, da ist die Tatsache, dass gebildete Menschen deutlich seltener invasiven und schädlichen Therapien ausgesetzt werden, aber auch die Tendenz, Wohlhabenden mit vorgegaukelten sinnlosen Sonderleistungen in die Geldbeutel zu greifen.
Jörg Blech – Heillose Medizin
Blech hat für sein Buch Experten befragt, allesamt Mediziner und Spezialisten in ihrer Disziplin. Viele davon sind an Unikliniken tätig und selbst oft kritisch, was den lässigen Umgang ihrer Zunftgenossen mit Medikamenten und Operationen angeht.
Wer weiss schon, dass es für die allerwenigsten Operationen einen Nachweis ihrer Wirksamkeit gibt? Zahllose OPs werden durchgeführt, weil die Ärzte daran glauben, dass sie wirken – oft jahrelang selbst nach dem Beweis des Gegenteils. Millionenteure Apparate, die keine Heilerfolge brachten, stauben in Kellern von Kliniken vor sich hin – oder werden aus Rentabilitätsgründen immer noch eingesetzt. Oder wer ahnt schon, dass zahlreiche teure Medikamente gegen Alzheimer und Osteoporose unwirksam sind, diese aber dennoch von den Krankenkassen bezahlt werden?
Gerade Deutschland ist im Bereich unnötiger und schädlicher Operationen und Medikationen weltweit auf einem Spitzenplatz – wer profitiert davon? Und was ist mit dem medizinischen Eid, Patienten keinen Schaden zuzufügen?
Blech widmet sich den großen Themen der Medizin:
- der Kardiologie mit ihrer Vielzahl an schweren operativen Eingriffen, die in den allerwenigsten Fällen etwas bewirken,
- der Orthopädie mit ihren Lieblingsdiagnosen und -therapien zum Bandscheibenvorfall, die Blech am eigenen Leib erfahren hat,
- der Gynäkologie, die natürliche Prozesse im Leben der Frau zu Krankheiten neu definiert und anschließend durch Medikation neue Krankheiten erschafft, die behandelt werden müssen, und Frauen zu Tausenden unnötig die Gebärmutter entfernt,
- der Krebsfrüherkennung, die sich mit Statistik aus unserer in die eigene Tasche lügt,
- der Volkskrankheit Hämorrhoiden,
- der Onkologie und besonders Chemotherapie, die seit 20 Jahren nur einem Bruchteil von Patienten mit bestimmten Krebsformen hilft, den Rest aber entsetzlich quält, und die Kosten dieser Folter der Allgemeinheit auferlegt,
- den Urologen und Proktologen, die mit fehlerhaften Prostatakrebsdiagnosen und überflüssigen Operationen Hunderttausende unnötig zu Inkontinenz verdammen,
- den Chirurgen, die neue Verfahren auf das Volk loslassen, ohne sie ausreichend getestet zu haben, und die neue Methoden zu Standards erklären, weil sie neu und cool sind, nicht weil sie Vorteile für den Patienten hätten (oder diese auch nur jemand versucht hätte zu belegen),
- der Pharmaindustrie, die sich ihre Genehmigungen auch für unwirksame Medikamente quasi selbst schreibt und im Verein mit den Apothekern Unwirksames und Schädliches verkaufen, statt zu heilen.
Die Vielzahl der Beispiele ist erschütternd, besonders wenn man sich klar macht, dass hier nur die Spitze des Eisbergs angekratzt wird. Oft und gern wird in Deutschland vor allem auf dem Patienten als Kostenverursacher herumgeritten: dass er zu oft zum Arzt gehe, zu viele Therapien fordere… wenn die Politik auch nur die Hälfte der Informationen in diesem Buch nutzen und für eine bessere, nicht eine billigere Gesundheitsversorgung einsetzen würde, könnten wir Milliarden sparen – und sehr viel Leid dazu. Blech belegt alle seine Behauptungen anhand einer umfangreichen Literaturliste, so dass auch Mediziner hier reichhaltige Quellen finden dürften.
Dieses Buch sollte jeder lesen, zu seinem eigenen Schutz, und nie wieder etwas beim Arzt glauben, ohne es zu hinterfragen oder sich vom Arzt Belege über die Erfolgsaussichten einer vorgeschlagenen Therapie geben zu lassen.
Pflichtlektüre für den mündigen Patienten – und hoffentlich auch kritische Ärzte.
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