Richard Morgan – Altered Carbon
Band 1 der Takeshi Kovacs Reihe
This seamless marriage of hardcore cyberpunk and hard-boiled detective tale is an astonishing first novel.
zitiert der Klappentext The Times und verspricht
a lightning fast, breathtakingly violent noir thriller set in the San Francisco of the 26th century.
Die Rede ist vom in der Tat atemberaubenden Erstlingswerk von Richard Morgan,
Altered Carbon
derweil auch auf Deutsch unter dem Titel Das Unsterblichkeitsprogramm zu haben.
Bereits der Einstieg in den Roman ist ein Knaller (und erinnert an die runs von Shadowrun oder Neuromancer). Kovacs und seine Partnerin haben einen Einbruch bei einer Biotech-Firma hinter sich und warten nun, von Drogen hellwach gehalten und schwer bewaffnet, auf den Gegenschlag, der auch kommt – und beide tötet.
Wie lässt man einen Ich-Erzähler eine Handlung vortragen, bei der er schon zu Anfang ums Leben kommt? Die Antwort ist ein Stack. In dem Universum das Morgan entwirft, sind Persönlichkeiten, der Geistesinhalt, Erinnerungen, Seele komplett digitalisierbar. Jeder Mensch erhält bei Geburt einen Chip in die Schädelbasis implantiert, den Stack, auf dem das alles gespeichert wird. Stirbt man, kann man – entsprechende Bedingungen vorausgesetzt – wieder in einen neuen Körper implantiert werden, das nennt sich re-sleeving (ein Sleeve, also ein Behältnis, eine Hülse, ist die wenig schönfärberische Bezeichnung für so einen neuen Körper).
Sterben ist beinahe unmöglich, außer der Stack wird zerstört, ohne dass es ein Backup davon gibt.
Kovacs, die Hauptfigur des Romans, erwacht in einem neuen Körper auf der Erde, 186 Lichtjahre von seiner Heimatwelt, Harlans World entfernt. Ihm ist sofort klar, dass er in den Knast gewandert war – im Zeitalter des Stacks bedeutet das nichts anderes als dass die Persönlichkeit für die entsprechende Dauer der Strafe in einem Speicher eingelagert wird. Jemand hat ihn aus dem Gefängnis geholt und per needlecast, einer hyperschnellen Funkverbindung, zur Erde nach Bay City transferiert, um ihm einen Job anzubieten – oder vielmehr aufzuzwingen. Denn Kovacs ist kein gewöhnlicher Verbrecher, er ist gewissermaßen staatlich akkreditierter Spezialist für jegliche Art von Undercover-Einsatz. Er ist ein Envoy, ein (ehemaliges) Mitglied eines Corps von Spezialisten der Regierung, und soll auf der Erde den Mord an Laurens Bancroft, einem drei Jahrhunderte alten Multimillliardär, aufklären.
Beauftragt hat ihn Bancroft, der wissen will, wer Grund hatte, ihm nach dem Leben zu trachten, und mit dem Ergebnis der Polizei nicht zufrieden ist – die Polizei beharrt nämlich aufgrund der Indizien darauf, Bancroft müsse sich selbst ermordet haben. Und so macht sich Kovacs auf, einen verwickelten Mordfall in einer ihm fremden Gesellschaft zu untersuchen, denn die Erde unterscheidet sich sehr grundlegend von der Kolonialwelt, auf der er aufwuchs. Erschwert wird seine Untersuchung auch davon, dass der Körper, den er trägt, bis vor kurzem einem korrupten Polizisten gehörte, dem der eine oder andere aus der Unterwelt nach dem Leben trachtet – und der mit der Polizistin verbandelt war, die Kovacs auf die Finger schauen soll.
Tatsächlich sind die grundlegenden Storymerkmale die eines klassischen Detektivromans des Hard-Boiled-Subgenres – ein Machoheld, der sich mit der prototypischen femme fatale herumschlagen muss, und gegen das Gesetz, mit seinem eigenen Verständnis von falsch und richtig und mit viel Gewalt sein Ding durchzieht und den Fall zur Aufklärung bringt. Das wäre nicht eben aufregend, wenn nicht Morgan die Leser mitsamt seinem Helden kopfüber in ein faszinierendes Scifi-Universum beförderte, das der wahre Star dieses Romans ist.
Ob es Hotels sind, die sich selbst irgendwann zur KI upgraded haben und nun ihre eigenen Besitzer und Betreiber sind, oder die Geschichte einer langsamen Besiedlung des Alls durch homo sapiens; die eingestreuten Details über verschwundene Marsbewohner die vor dem Menschen die Galaxie erforscht haben, oder die Renegaten-Philosophin Quell, die eine Art Schutzheilige von Harlans World ist; das Leben der Meths, der Methusalems, der Uralten mehrfach inkorporierten Seelen, oder die neue Welt von wüsten Designerdrogen und virtuellem und echtem Snuff; Werbebots, die subliminale Botschaften direkt ins Gehirn broadcasten, oder die Katholiken des 26. Jahrhunderts, die eine Reinkorporierung der Seele für Sünde halten, und der effektiven Regierung des Protektorats, der sogenannten UN, eine Resolution zur völligen seelischen Selbstbestimmung abringen wollen – Morgans Roman ist randvoll mit irrwitzigen Ideen und Fakten einer alternativen Realität, von der ich mehr erfahren will. Begierig verschlingt man Seite um Seite, die sich Kovacs durch den Wust von Lügen, Betrug, Gentechnik und Hightech, Emotionen und Berechnung kämpft, welcher den Mordfall verschleiert und kompliziert. Dem Autor ist hier eine Synthese aus Scifi und Thriller gelungen, die den Pulsschlag rapide nach oben treibt, aber vor allem den Leser völlig in diese fremdartige Welt hineinzieht – das macht ihren Reiz aus
Seine Sprache ist dabei präzise und auf dem Punkt, der Slang, die Ausdrücke, die er für die Selbstverständlichkeiten des 26. Jahrhunderts prägt, hat einen Geschmack von erfundener Authentizität wie bei Chandler, die Diktion der Charaktere ist stimmig, es macht einfach Spaß, bis über beide Ohren in die Andersartigkeit des Daseins in dieser Zukunftsvision einzutauchen. Der starke Cyberpunk-Faktor kommt mir dabei sehr entgegen, die klassische Sci-Fi ist gerade auf dem Gebiet Entwicklung der Bio- und Computertechnologie oft ein wenig sehr zurückhaltend gelagert.
Altered Carbon ist, bei aller Faszination für das Genre, den rasanten Plot und die aberwitzige Welt, die Morgan entwirft, nicht ohne Macken. Kovacs, den er als eine Art hochgezüchteten psychopathischen, supereffizienten Profikiller beschreibt, eine menschliche Kampfmaschine, wie sie Tarantino nicht besser für Kill Bill hätte erfinden können, ist angeblich mit überlegenen Fähigkeiten wie passendem Intellekt ausgestattet. Und dennoch ergeht er sich in einer blutigen Vendetta vor – wie ihm als Bewohner einer volltechnisierten Welt klar sein muss – Überwachungstechnik en masse, ohne auch nur geringfügigste Vorkehrungen zu treffen, die das Gesetz davon abhalten könnten, ihn bis zum nächsten Urknall in den Knast zu stecken; angeblich hat Kovacs tiefgreifende mentale Konditionierungen erfahren, aber sein Verhalten spiegelt das nur sehr selten wieder.
Auch seine Beziehungen zu Frauen sind, gelinde gesagt, seltsam, und das wirkt sich leider auch auf den Plot aus. An einem bestimmten Punkt etwa wird plötzlich (ich will nicht zu viel verraten) eine Frau aus seiner Vergangenheit wichtig, und er riskiert absolut alles, um ihr zu helfen, dabei hat er weite Teile des Romans keinen Gedanken an sie verschwendet oder sich auch nur für ihren Verbleib interessiert.
Gleichzeitig kann er große Teile seiner Ermittlungen eigentlich nur erfolgreich durchführen, weil die Frauen, mit denen er zusammentrifft, ihm helfen, selbst wenn sie damit mal eben ihre komplette Existenz riskieren, dabei hat keine von ihnen dafür einen rechten Grund. Selbst die KI des Hotels, in dem er wohnt, wickelt er sozusagen um den Finger, ohne dass man das nachvollziehen könnte.
Die Gewalt im Roman scheint bisweilen Selbstzweck, dafür bleiben die so fein erdachten technischen Details dann doch auf der Strecke. Wenn zum Beispiel jeder Bürger einen Chip im Schädel trägt, der seine Persönlichkeit beinhaltet, und man die Körper wechseln kann, wird auch eine Identifikationsmethode (sagen wir mal: analog zu RFID) nötig, mit der man sofort feststellen kann, wer die Person in einem Körper ist, und eine solche Technik würde automatisch auch die Verfolgung der entsprechenden Person ohne zusätzliche extra-Wanzen o.ä. vereinfachen, ebenso wäre ein Großteil der Überwachungskameras unnötig. Hier wurde das Konzept (aus dramaturgischen Gründen?) nicht zu Ende gedacht. So abgefahren auf der einen Seite die digitalisierten Personae sind, so old-school und retro ist die eingesetzte Überwachungstechnik.
Dennoch ist Altered Carbon ein fantastisches Stück Sci-Fi-Unterhaltung, das – so man, was plakative Darstellungen von Sex und Gewalt angeht, nicht zimperlich ist – einen Riesenspaß macht und einen mit auf einen rasanten Trip in ein neues, faszinierendes Universum nimmt. Ich hatte lange nicht mehr so viel Vergnügen beim Lesen mir neuer SF.
Band 2 und 3 sind schon geordert…
Bewertung:
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