Horror

Stephen King – Cell

Stephen King gilt als einer der Großmeister der Horrorstory. Ganz bestimmt ist er der meistverkaufte Autor dieses Genres, und allen Neidern zum Trotz ist er ein begabter Autor, der den Leser tief in den Plot seiner Geschichten hineinziehen kann.

Mit
Stephen King - Cell

Cell

legt er eine apokalyptische Vision vor, die mit einem der meist verwendeten Alltagsgegenstände des modernen Lebens beginnt, einem Cell Phone, oder deutsch Handy. (Nicht ganz zufällig besitzt der Autor kein ebensolches). Eine Handvoll Menschen übersteht einen tsunamiähnlichen Einbruch des Chaos in den normalen Bostoner Alltag, als plötzlich alle anderen um sie herum komplett durchzudrehen scheinen und mit Händen, Fingernägeln, Zähnen, Waffen auf einander losgehen. Und sehr schnell begreifen die Protagonisten, unter ihnen Clay Ridell, die Hauptfigur des Romans, dass jeder, der durchgedreht zu sein scheint, im Augenblick des Chaos oder danach mit dem Handy telefoniert hat…

Kings Vision von einem durch Handys / mobile phones übertragenen „Etwas“, das ein Wurm, eine gezielte Attacke oder auch etwas vollkommen Fremdes sein könnte, erinnert in ihrer Konsequenz für die moderne westliche Gesellschaft fatal an Palahniuks ‚Lullaby‘. Parallelen zu „The Stand“ zu ziehen scheint unausweichlich, denn auch hier droht die posttechnische Apokalypse. Und doch kann „Cell“, bei aller Routine, den Leser nicht dauerhaft bannen. Das erste Drittel des Romans ist intensiv und lässt dem Leser kaum eine Wahl als wie getrieben weiterzublättern, begierig zu erleben, was den Charakteren widerfährt. Aber für King’sche Verhältnisse erscheinen die Figuren ungewohnt blass, ohne echten Tiefgang – das kann er sehr viel besser.

Der Mittelteil des Buches führt den Leser in ein Horrorszenario erster Klasse – die Welt ist bevölkert von lallenden, mörderischen, telepathischen Zombies, den Phoners, die – nur bei Tageslicht – den Hauptfiguren nach dem Leben trachten.

Über der Großregion Boston bricht Armageddon herein. Als Horrorspektakel zeigt die Handlung, dass King ein Routinier des Genres ist, und seine Story schneidet immer noch um Längen besser ab als das meiste, was sonst in dieser Gattung gedruckt wird, dennoch kann es nicht überzeugen. Selbst die Beschreibungen der Umgebungen, sonst eine Stärke des Neuengländers, bleiben seltsam fahl, als erwarte King, dass sich jeder seiner Leser in der geschilderten Region auskennt, und lassen für den Handlungsverlauf wesentliche Fakten aus. Es erstaunt um so mehr, als dieser Abschnitt des Buches recht umfangreich ist, und hier gern andere Teile einer Kürzung hätten zum Opfer fallen können. Auf den insgesamt knapp 400 Seiten – vergleichsweise wenig für einen King – wird sehr viel Papier darauf vergeudet, für den Handlungsverlauf indifferente Plotfäden auszuspinnen, das ist eher untypisch für den Autor.

Stark ist King, wie so oft, da, wo er das Kleinstadtleben Amerikas unter das Mikroskop legt und seziert, schwach ist er – ungewohnterweise – bei der Ausgestaltung seiner Handlungsträger, die wie beliebig zusammengewürfelt wirken und über die wir trotz gewohnt brillianter, lebensechter Dialoge nicht wirklich viel erfahren. Der einzige, der einigermaßen Profil bekommt, ist Ridell, der auf der Suche nach seiner Frau und vor allem seinem Sohn ist.

Wie nachgesetzt wirkt, nach einem fulminanten Finale einschließlich der Eliminierung des zwar gruseligen, aber nicht charismatischen Anführers der „Bösen“, dann das Ende des Buches.

Tatsächlich fehlen „Cell“ ein paar Elemente, die es zu einem runden Ganzen werden lassen könnten. So wird durch den gesamten Roman nicht klar, woher der Puls, der die Gehirne der Menschen via Handy beeinflusst hat, wirklich kommt, wer ihn erzeugt hat, oder welcher Zweck damit verfolgt wird. Mit den Protagonisten stolpert der Leser durch ein – glaubwürdig geschildertes – apokalyptisches Amerika, auf der Suche nach dem Sinn, der ihm allerdings verborgen bleibt. Statt dessen wird viel Mord, Totschlag und Gewalt aneinander gereiht und gipfelt in einem mehr als unbefriedigenden Ende, bei dem man auf die Einblendung „Fortsetzung nächste Woche“ wartet.

Mit einer baldigen, sinnlosen Verfilmung ist wohl zu rechnen. King hat allerdings schon weit besseres geschrieben.

Bewertung: ★★½☆☆