Medizin

Andrew Weil – Spontanheilung

Andrew Weil studierte Medizin in Harvard, aber schon Ende der sechziger Jahre wurde ihm klar, dass er das maximalinvasive Medizinsystem so nicht annehmen konnte. Er machte sich auf die Suche nach Alternativen, nach einer Medizin, die heilt, ohne anzugreifen. Geradezu bildhaft beschreibt er das, was wir seit Hahnemann als Allopathie bezeichnen, als „Antimedizin“, die mit Antibiotika, Antiarrhythmika, Antihypertensiva, Antitussiva, Anticholinergika, Antihistaminika, Antidepressiva, Antipyretika, Antiallergika, Antikoagulanzien und Co. agiert.

Andrew Weil – Spontanheilung. Die Heilung kommt von innen

Wie viele andere Medizinkritiker auch bemerkt Weil, der nach einem weiteren Studium der Botanik und Forschungsreisen an den Amazonas eine eigene Praxis betreibt, dass die Medizin von heute immer dogmatischer geworden ist und Dinge, die nicht in ihr Weltbild passen, ignoriert, Spontanheilungen, die sich niemand erklären kann, als anekdotisch und damit vernachlässigbar definiert, statt sich mit den Hintergründen dieser Heilungen zu befassen und etwas über die Gesundungskräfte des Körpers zu lernen.

Der Titel des Buches ist etwas irreführend, denn es geht mitnichten nur um Spontanheilungen. Auch alternative Heilmethoden und vor allem die Grundfrage nach den Kräften, die eine Heilung bewirken, umfasst dieses Buch, und nach unserem Verständnis davon.

Schon im alten Griechenland gab es zwei verschiedene Schulen der Heilkunst – die Heiler, die sich der Hygieia verschrieben hatten, der Gesundheit, und die Ärzte, die sich dem Asklepios widmeten. Während die einen ähnlich der traditionellen chinesischen Heiler ihr Ziel darin sahen, die Gesundheit zu erhalten, war das Ziel der anderen, die Krankheit zu bekämpfen. Der medizinische Ansatz ist großartig in seiner Wirkung bei Verletzungen und Traumata, die chirurgischer Intervention bedürfen, oder gegen einige Infektionskrankheiten, aber ansonsten versagt er zusehends. Und selbst bei Infektionen gilt, dass die Intervention der Medizin nur die Erregerlast senken kann, heilen muss sich der Körper immer noch selbst.

Der Frage, wo die Heilung herkommt, ist Weil in „Spontanheilung“ nachgegangen. Er hat selbst erlebte und erfahrene ungewöhnliche Heilungsgeschichten zusammengetragen, von Spontanremissionen, über die mit jeder Schwangerschaft seiner Frau wiederkehrenden Rückenschmerzen, die eine Gedankenreise zum Verschwinden brachte, bis zur Anwendung von nichtinvasiven Heilmethoden, die die meisten modernen Mediziner nicht einmal für sinnvoll halten, wie der Osteopathie und Cranial-Therapie. Dabei hält Weil durchaus eine Distanz zu manchen Theorien der Geheilten über die Quelle ihrer Heilung, aber er verschließt sich auch nicht neuen Ansätzen, die ihm fremd sind oder waren. Das alles liest sich streckenweise wie ein medizinischer Krimi, manchmal wie ein Abenteuerbuch, auf jeden Fall aber sehr flüssig, unterhaltsam und dabei mit viel medizinischen Fakten (u.a. aus Lehrbüchern über Pathologie) gespickt. Den Vorwurf, unwissenschaftlich zu sein und Scharlatanen aufzusitzen, kann Dr. med. Weil niemand machen.

Während so einiges, das der Autor in seinem Buch kolportiert, insbesondere seine Aussagen zu Cholesterin und Nahrungsfetten, mit dem Abstand von 10 Jahren zur Entstehung dieses Buches wissenschaftlich überholt sind, ist „Spontanheilung“ dennoch eine überzeugende Zusammenstellung der Lebens- und Heiler-Erfahrungen eines außergewöhnlichen Mediziners, die sich dazu noch sehr angenehm liest. Weil verzichtet auf moralische Belehrungen und erhobene Zeigefinger. Trotz aller Hinwendung zu psychischer Heilung („Krankheiten annehmen“) lehnt er die in esoterischen Kreisen weit verbreitete Haltung ab, dass Krankheiten nur eine Folge falschen Denkens und Lebens seien (und damit dem Kranken die Schuld zuschieben).

Mit zum Buch gehört dann auch ein 8-Wochen-Programm zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte. Was Weil da schreibt, etwa Umstieg auf biologisch erzeugte Vollwertkost, Atemtraining, regelmäßige Bewegung, Omega-3-Fettzufuhr, Eliminierung schlechter Nahrungsfette, Fasten- und Obsttage, geistige Entspannung oder Saunagänge, ist im Großen und Ganzen nichts Neues, und der obligatorische Seitenfüller für „Wellness“-Bücher. Durch die Art und Weise, wie er es transportiert, regt e aber vielleicht manche doch an, die eigenen Lebensumstände zu überdenken und einiges zu verbessern.

Ein Buch, das eigentlich jedem, der sich bewußt mit seinem Körper und seiner Gesundheit auseinandersetzt, wertvolle Impulse und neue Einsichten geben kann.

Bewertung: ★★★½☆